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michaelkutschke

PLAN «B»

Wenn die Realität plötzlich von der schönen Planung abweicht: Über die Kunst des Sich-igendwie-Durchwurstelns auf Reisen.


Pleiten, Pech und Pannen auf Reisen haben ein hinterhältiges Wesen ...

Game over! Stimmungstief in einem Kaff irgendwo zwischen der kenianischen Küstenstadt Mombasa und Nairobi. Es regnet. Gabis DR 350 hat soeben mal wieder ihre Arbeit eingestellt. Wir müssen verrückt sein, mit völlig maroden Motorrädern 6000 Kilometer zurücklegen zu wollen....

EXTREMREISEN | PANNEN UNTERWEGS | BAHNVERLAD MIT DER TANZANIA-SAMBIA-RAILWAY


Der untere Totpunkt

Bereits kurz hinter Nairobi hat die Suzuki am Tag zuvor schon einmal den Dienst verweigert. Es scheint, als würden wir nicht mal die schlappen 600 Kilometer von der Hauptstadt an die Küste schaffen. Die Widerspenstige springt an, stirbt aber gleich wieder ab: «Hört sich an, wie wenn sie keinen Sprit bekommt.» Rasch das Schräubchen am Schwimmer geöffnet… «Hmm. Benzin ist da, ein Zündfunke auch.» Eine halbe Stunde später sind die Strassen wieder trocken, und die 350er schnurrt, als ob nie etwas gewesen wäre.


Manchmal scheint es, als würden wir nie irgendwo ankommen


Tags darauf und 180 Kilometer später dasselbe Spiel, diesmal unter der sengenden Sonne: Der Sugi-Motor ist aus voller Fahrt einfach abgestorben. Am Fahrbahnrand festgeklebt, trotzen wir mutig und mit Schraubenschlüsseln bewaffnet den heranbrausenden LKWs, deren Sog fast die Motorräder vom Ständer wirft. Der Hitzestau in der Endurokluft wird unerträglich. Gabi ist endgültig am unteren Totpunkt angekommen. Ich klammere mich noch immer verzweifelt ans Werkzeug: Verdammt, der Vergaser läuft wieder über…



Zündkerze in die Hand: Wenn man nur leicht zuckt, ist der Funken schwach, wenn man fünf Zentimeter hochspringt, ist die Zündung okay, bei zehn ist sie sehr gut ...


Dass wir denTrip nach Mombasa fortsetzen konnten, geht auf das Konto einer afrikanischen Töffbesatzung, die uns Hilfe angeboten hat. Nachdem wir in Zusammenarbeit das Schwimmerventil neu justiert haben, testen wir turnusmässig die Kerze. Nur kommt diesmal die afrikanische Pistenmethode zum Zug: Weil man im gleissenden Sonnenlicht den Funken nicht sieht, heisst es Kerze in die Hand nehmen und kicken. Wenn man nur leicht zuckt, ist der Funken schwach, wenn man fünf Zentimeter hochspringt, ist die Zündung okay, bei zehn ist sie sehr gut. Zündung ein. Nanu? Kein Stromschlag? Das Zündschloss überbrücken? Auch ohne Schaltplan nur eine Fingerübung für unsere neuen Bekannten.

Fahrender Schrotthaufen: Afrika und die hohe Kunst des Improvisierens. Und auch der Ernüchterung,


OT − der obere Totpunkt am Anfang

Bereits bei der Ankunft in Nairobi hatten wir die böse Vorahnung, dass Gabis DR nicht mehr gewillt sein würde, unserem jährlichen Pistendrang zu folgen: Mir schmerzte schon am ersten Urlaubstag der Fuss vom Ankicken. Zu lange stehen die Böcke schon auf dem Schwarzen Kontinent herum. Die Plastikteile, jahrelang von der Sonne gebleicht, sind unansehnlich und spröde, die Speichen mit Flugrost überzogen. Hier etwas Tape, da ein Kabelbinder, dort eine verrostete Schraube. Und auch die Elektrik sieht längst nicht mehr so aus, wie man es als Europäer gerne hätte. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen den Kulturen und Mentalitäten hat sich während sechs Jahren Afrika-Einsatz offensichtlich schleichend unserer Motorräder bemächtigt. Die Basteleien à la Africaine während 50.000 Pistenkilometern bringen nun selbst Vollblutmechaniker auf dem Campingplatz in Nairobi an den Rand des Wahnsinns.



Zündkerze, Zündstecker, Zündspule, Ventilspiel gecheckt: Alles scheint okay zu sein. Kompression getestet, Vergaser total zerlegt und alle Düsen, Kanäle durchgeblasen, eine abgestreifte Schlangenhaut aus der Airbox gekratzt, das Polrad abgezogen, die Elektrik geprüft, den Schwimmerstand kontrolliert und nachjustiert… Zehn Tage lang ölverschmierte Finger und Werkstattarbeit in einer lärmenden afrikanischen Metropole statt Reiserück- trittsversicherung und Pistenabenteuer am Tanganjikasee? Und dieses Luder will nur anspringen, wenn es vorher mit Startpilot geflutet wird. Stellt man sich so seinen Urlaub vor?



Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen den Kulturen und Mentalitäten hat sich während sechs Jahren Afrika-Einsatz offensichtlich schleichend unserer Motorräder bemächtigt ...


Endlich ein Hoffnungsschimmer: Weder Zündzeitpunkt noch OT-Marke sind mit der Strobo-Lampe bei laufendem Motor auf dem Polrad sichtbar. Ist der Keil auf der Kurbelwelle gebrochen? Hat sich der Zündzeitpunkt verschoben? Doch wie das Polrad runterbekommen? Einen Abzieher haben wir nicht mit. Unserere neue Reisebekanntschaft Matthias hilft uns aus der Patsche. Drei Stunden später gelingt es uns, mit einem improvisierten Vierkanteisen und vier vernudelten Schrauben aus der Schrottkiste das Polrad abzuziehen.

Die Basteleien à la Africaine während 50.000 Pistenkilometern bringen selbst Vollblutmechaniker auf dem Campingplatz in Nairobi an den Rand des Wahnsinns.


Das ist Afrika: die hohe Kunst des Improvisierens. Und auch Ernüchterung, denn der Keil ist völlig okay, der Zündfunke kräftig, nur die OT-Markierung ist halt um 180 Grad verdreht… Das soll einer verstehen. Also muss doch der Vergaserschwimmer die Ursache für die Startprobleme sein. Das Plastikteil hat sich durch die Standzeiten in Afrika total verzogen. Tage später gelingt es tatsächlich in Nairobi, einenTauschvergaser aufzutreiben. Und siehe da – einweiterer Rückschlag! Die Startschwierigkeiten bleiben. Der «obere Totpunkt» scheint nun überschritten.



Vorfreude statt Fahrfreude

Wir sind mit dem Techniklatein am Ende. Die Zeit verrinnt. Nach zehn Tagen Motorrad- Schraubereien auf dem Camp hat uns der Lagerkoller erfasst. Irgendwann kennt man jeden tropfenden Wasserhahn am Geräusch und jede Stubenfliege mit Namen.Wir wollen nur noch weg. Also zwingen wir uns zur afrikanischen Denkweise, zum «Inschallah» – dem So-Gott-will-Prinzip. Wir werden die Karre halt jeden Morgen mit Startpilot auf Trab bringen. Es wird schon gehen.


Die ostafrikanische Metropole verschwindet am nächsten Morgen zunächst unerwartet problemlos im Rückspiegel. Was stellt man sich nicht alles vor, wenn die kostbarsten Wochen des Jahres nahen. Am liebsten möchte man in vier Wochen Urlaub all das nachholen, was man sich das ganze Jahr über verkniffen hat. Mit dem Finger auf der Landkarte fängt man an zu träumen – von 8000 Kilometer langen Sahara-Durchquerungen – oder, wie wir es tun, von abgelegenen Buschpisten am Tanganjikasee. Also wird die Auszeit komplett verplant:


«Von da an sind es noch 21,5Tage bis zum Rückflug... Macht einen Tagesschnitt von etwa 180 km bei 3600 km Reststrecke…»


Man ist versucht, das Unverhoffte einzukalkulieren, denkt an Versicherungen und Werk zeug. Aber weniger ist mehr – Pleiten, Pech und Pannen haben ein hinterhältiges Wesen.



Another shitty day in paradise

Wenn der erzwungene Müssiggang zur Qual wird.

Palmen, 35 Grad, Strand: Daressalam – eine Woche später. Nun sitzen wir also statt in Kenia inTansania fest. Plötzlich haben wir Zeit im Überfluss: Zeit zum Schwitzen, zum völlig unnützen, täglich mehrmaligenTöff-Umparkieren, Zeit für ein Resümee. So viel steht fest: Die Urlaubsvorfreude auf dem Camp in Nairobi war dieses Jahr grösser als die Fahrfreude. Das Vorhaben, entlang des Tanganjikasee nach Sambia zu düsen, mussten wir bereits in der ersten Urlaubswoche begraben. Zu waghalsig erschien uns die Vorstellung, auf den einsamen Schlammpisten entlang der Kongogrenze festzusitzen wegen eines Bikes, das macht, was es will. Also soll es in einem ersten Plan "B" an der Küste über Mosambik zum Ziel gehen.



Nichts für Nervenschwache: Mechaniker am offenen Treibstoffsystem mit rauchender Zigarette in der Hand.

Bei Mombasa können wir zwar mit Hilfe der Einheimischen das Zündschloss als Pannenübeltäter identifizieren, überbrücken und mal wieder den leidigen Schwimmerstand des DR-Vergasers neu justieren, sodass Ruhe ist vor unvorhergesehenen Stopps. Aber kein Tag vergeht seither ohne Probleme: Starten lässt sich das Luder noch immer nur mit einem gehörigen Schuss Motoren-Dope in der Airbox.


Gabi denkt in Sachen Töff bereits an die Feuerzeuglösung, «als Horizonterweiterung auf die harte Tour», wie sie sarkastisch sagt ...


Mörderischer Verkehr auf den Hauptstrassen Ostafrikas, Gewitter und heftige Regenschauer drücken auf unsere Stimmung. Die Packtaschen fallen allmählich auseinander, und auch meine MZ nimmt noch Platz auf einem Autoanhänger. Aber schlimmer als die Ermüdung des Materials ist unsere Erschöpfung. Manchmal scheint es uns, als würden wir niemals irgendwo ankommen. Gabi denkt in Sachen Töff bereits an die Feuerzeuglösung, «als Horizonterweiterung auf die harteTour», wie sie sarkastisch sagt. Denn es sieht so aus, als verpassten wir wegen der zickenden Töff nun sogar den Heimflug ab Sambia. Doch in der sogenannten Dritten Welt findet sich immer ein Ausweg. Und nach langem Hin und- her-Skypen mit Freunden in Namibia tut sich ein attraktiver Plan B auf.



Auf den Zug gekommen

Und wenn du denkst, es geht nicht mehr… …kommt ein Bummelzug daher: Tazara, das steht für Tanzania-Zambia Railway – kein luxuriöser Hotelzug, sondern eine ganz normale afrikanische Bummelbahn. Fast 2000 km sind es von Daressalam bis ins sambische Kapiri Mposhi. Hunderte von Menschen drängen sich mit Kisten, Taschen und Koffern vor den Absperrgittern und warten darauf, auf die Plattform gelassen zu werden. Dazwischen unsere Pannentöff. Der Schaffner kann sich das Grinsen nicht verkneifen, als wir fragen, wann der Zug denn am Ziel ankommen werde. «Übermorgen früh, neun Uhr. Es könnte aber auch 30 Stunden später werden.» Infos: www.tazarasite.com

Diashow - Tanzania-Zambia-Railway:


Zwischen Tansania und Sambia verkehrt ein Zug, der mangelnde Pünktlichkeit durch fantastische Landschaftserlebnisse wettmacht und auch unsere Motorräder nach Süden mitnehmen kann. So recht nach unserem Geschmack ist, dass der Tazara-Express kein luxuriöser Hotelzug, sondern eine normale afrikanische Bummelbahn ist. Nun ist es also raus: Wir reden von Motorradabenteuern und fahren mit der Eisenbahn. Zugegeben, wir haben uns das auch anders vorgestellt. Shit happens. Also aus Furcht vor einer weiteren Panne künftig lieber daheim bleiben? Wohl kaum. Mit frisch überholtenTöff wird unsere Reise auch nächstes Jahr weiter durch Afrika gehen. Dann hoffentlich ohne einen neuen Plan B aktivieren zu müssen. •



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