Toleranz zwischen Moslems und Christen – Albanien IST NICHT NUR EIN GENIALES ZIEL FÜR REISEENDURISTEN - sondern ein Hoffnungsschimmer für die Welt.
Vier Stunden Fahrzeit für gerade mal 80 Kilometer? Kein Problem in Albanien!
Die unwegsame Gebirgspiste SH21 von Koplik über Theth und Kir nach Shkodër führt durch eine der wildesten Bergwelten Europas. Und fordert Töff und Besatzung alles ab. Jeder Zentimeter Bodenfreiheit und Federweg ist hier Gold wert. Aber auch die Asphaltstrassen sind eine Herausforderung. Man könnte meinen, albanische Verkehrswege hätten die höchste Schlaglochdichte Europas.
Welcome to Albania – was für ein Kontrast: Bereits eine Stunde, nachdem unsere moderne Mittelmeerfähre in der griechischen Hafenstadt Igoumenitsa angelegt hat, folgt eine Fahrt mit einer betagten Seilzugfähre. Die bringt uns zum UNESCO-Weltkulturerbe Butrint – ein Troja in Kleinformat südlich der Stadt Sarandë gelegen – ein Zeugnis mediterraner Geschichte. Jede Epoche hat hier Spuren hinterlassen: Ruinen aus griechisch-römischer, venezianischer und osmanischer Zeit.
Nur 20 Kilometer weiter wartet das quirlige "Jetzt" im Badeort Sarandë, der Partyhochburg des albanischen Tourismus. In der türkisfarbenen Bucht mit Blick auf die Insel Korfu geht der Punk ab. Die Uferpromenade mutiert jeden Abend zum Laufsteg (was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können: Das ist in Albanien in jeder Stadt so). Am Ende des Tages wird flaniert, geschnattert und gefeiert. Alle Läden sind bis tief in die Nacht geöffnet, die Restaurants und Cafés bis auf den letzten Platz belegt.
Mitten in der Innenstadt Sarandës stehen Bauruinen, wir bemerken verlassene Gebäude, menschenleere Baustellen. Unmengen von Kabeln für Strom und Telefon hängen kreuz und quer über den Gassen.
Plattenbauten atmen noch den Mief des Kommunismus. Mietskasernen aus den Sechzigerjahren stehen davor.
Heruntergekommene Häuser gibt es in Albanien in allen Grössen und Zuständen. Und dennoch hat uns die Stadt in ihren Bann gezogen. Denn die mediterrane Lebensfreude beherrscht den Alltag, aber auch das religiöse Leben. Und das ist hier in Sarande wahrhaft ein aussergewöhnliches, denn die Küstenstadt ziert auch das Gotteshaus eines unbekannten Islam.
Das Christentum ist schon früh nach seinem Entstehen nach Albanien vorgedrungen. Funde zeugen von Sakralbauten aus dem 6. Jahrhundert. Ab dem 16. Jahrhundert wurde es in den Hintergrund gedrängt durch den Islam, der während der Herrschaft des Osmanischen Reiches die am weitesten verbreitete Religion in diesem Raum werden sollte. Schätzungen zufolge liegt der Anteil der orthodoxen Christen an der 3,2 Millionen Albaner zählenden Bevölkerung heute bei 20, jener der Katholiken bei knapp zehn Prozent. Rund 60 Prozent der Albaner bekennen sich heute zum sunnitischen Islam.
Trotz der parallel existierenden Religionsgemeinschaften kam es in Albanien nie zu einer feindlichen Polarisierung innerhalb der Bevölkerung – wohl aber zu unterschiedlichen kulturellen und sozialen Entwicklungen.
An der Schnittstelle von Abend- und Morgenland ist aus der Weigerung, sich von jedwedem religiösen Fanatismus vereinnahmen zu lassen, innerhalb des Islams ab dem 14. Jahrhundert eine eigene Glaubens- und Gedankenwelt entstanden. Etwa acht Prozent aller Muslime in Albanien sind heute Bektashi. Vor der Erklärung zum atheistischen Staat gab es rund 300 Klöster und Tekken (Religionshäuser). Danach wurden die meisten heiligen Stätten der Bektashi zerstört und bis zum Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur haben nur sechs Geistliche überlebt.
Mit den radikalen, an Saudi-Arabien orientierten Wahhabiten haben die Bektashi nichts am Hut. Was sie stört, ist deren religiöse Intoleranz – und sich die Köpfe wegen einer letzten Wahrheit einzuschlagen, käme den Bektashi nicht in den Sinn. Denn religiöse Toleranz gegenüber allen Andersgläubigen ist ihre Leitvorstellung. Interreligiöse Heiraten sind daher keine Seltenheit, während dies in den meisten Ländern mit muslimischem Bevölkerungsanteil kaum der Fall ist.
Das Gebet der Bektashi ist nicht an Tageszeiten gebunden, sondern konzentriert sich auf die Abendstunden. Alkohol ist nicht verboten und beim Beten sitzen Männer neben ihren unverschleierten Frauen. Ihr höchstes Fest begehen die Bektashi alljährlich eine Woche lang am Berg Tomorr bei Berat.
Wilde Pisten und wilde Zeiten
Abgerutschtes Geröll reisst mich aus den Gedanken zu der religösen Vielfalt und dem Miteinander. Nuin heisst es Obacht geben: Von Theth ins Kir-Tal - bis dato sind wir sturzfrei durchgekommen. Also jetzt nur keinen Fahrfehler machen. Es wird eng zwischen Felswand und dem einige hundert Meter tiefen Abgrund. Die schwindelerregenden Ausblicke auf Berge, Täler und uralte Einsiedlerhöfe rauben uns den Atem. Doch solche Abgründe haben uns auch andernorts begeistert. Zum Beispiel auf der SH71, welche von Maliq nach Gramsh führt, oder auf der alten Pistenroute SH31 von Peshkopi nach Kukës am Fluss Drin entlang.
Eine gute Vorbereitung auf die schwierigeren Schotterpassagen der Theth-Runde war für uns die Strecke von Berat über Corova und die Osum-Schlucht nach Permët.
Der Osum-Canyon kann übrigens mit Recht als einer der spektakulärsten Europas bezeichnet werden. Im hinteren Teil der Schlucht wartet ein unbekannter Schotterpass mit grandiosen Bergpanoramen….
Die Stadt Berat am Einstieg zum Schotterabenteuer wiederum ist ein populärer Besuchermagnet, UNESCO-Weltkulturerbe und eine der schönsten und ältesten Ansiedlungen Albaniens.Berats historischer Kern ist von der Modernisierungswut der Kommunisten verschont geblieben. 1961 erklärte sie der damalige Diktator Enver Hoxha zur Museumsstadt.
Albanien war für nahezu ein halbes Jahrhundert von einer stalinistischen Bürokratie beherrscht.
Die regierende kommunistische Partei unter Enver Hoxha hielt sich bis 1990 durch Terror an der Macht. Auf ein Kruzifix im Haus stand z.B. die sofortige Erschiessung, auch private Autos waren nicht erlaubt. Fast jeder Albaner kennt jemanden, der damals inhaftiert oder verschleppt wurde. Der paranoide Hoxha befahl die Verbunkerung des Landes. Geschätzte 600 000 Einmann-Bunker liess er errichten.
Langsam wird uns mulmig, die Piste wird immer schwieriger. Aber die Landschaft entschädigt für alles. Die Bergrücken fallen hier bis zu 1000 Meter in die Täler, manchmal senkrecht oder gar überhängend. Dazu können wir den würzigen Duft der Kiefern und Pinien aufsaugen. Eben noch bewunderten wir das türkisfarbene Wasser aus der Vogelperspektive und schon führt uns eine unerwartet schwierige Passage in steilen Serpentinen erst auf einen Pass und dann ins Kir-Tal hinab.
Ich habe Albanien insgesamt vier Mal auf dem Motorrad bereist. Hier mit der SWM SD 640 Super Dual - mein Video zum echt überzeugenden Moto auf Albaniens Pisten:
Seit dem Dorf Theth sind wir nun schon zwei Stunden unterwegs und haben gerade mal 38 Kilometer geschafft. Mühsam zuckeln wir die steinige Piste weiter. Auch das noch: Unser Etappenziel werden wir heute nicht mehr erreichen. Plattfuss. Albanien ist halt immer für eine Überraschung gut. Wir zelten neben der Piste. Morgen ist ja auch noch ein Tag.
Bodenwellen bringen das Heck ins Pumpen, das Motorschutzblech touchiert krachend die Felsen...
Gesucht haben wir ein Enduroabenteuer, gefunden haben wir dazu eine Perle des Balkans. Wir besichtigten Tempel, Kirchen und Moscheen, wir besuchten Städte und hangeln uns durch herrliche Bergwelten, dicht an der griechischen Grenze zur Bierstadt Korçe. Aus knapp 60 Kilometern Luftlinie werden fast immer über 100 Strassenkilometer. Die gewundenen Linien zwischen unseren Etappenzielen stehen also auch auf Asphalt für traumhafte Motorradstrecken...
❌Reiseinfos Albanien
Einreise: Für Reisende aus der Schweiz und der EU ist kein Visum erforderlich. Das Reisedokument muss noch mindestens sechs Monate gültig sein. Eine Grüne Versicherungskarte und ein Nationalitätskennzeichen fürs Fahrzeug sind obligatorisch.
Anreise: Es gibt die Möglichkeit, durch Österreich und Italien nach Triest zu fahren. Zweimal wöchentlich legt hier eine Fähre nach Durres in Albanien ab. Auch von Ancona gibt es Fähren (www.directferries.de). Ein Erlebnis ist auch die Anreise auf Achse durch die zahlreichen interessanten Balkanländer.
Allgemein: Albanien ist ein sicheres und gastfreundliches Reiseland. Die üblichen Vorsichtsmassnahmen auf Reisen reichen völlig aus. Landessprache ist Albanisch, die Währung der Lek. Fast überall finden Sie Leute mit Englischkenntnissen.Reisezeit: Die schönste Zeit ist zwischen Mai und Juni. Im Juli und August ist es sehr heiss.
Motorradfahren: Teilweise sind die Strassen sehr schlecht. Man muss allzeit mit ungesicherten Baustellen, Bauschutt, fehlenden Gullydeckeln, Fussgängern, Tieren, Fuhrwerken und Rollsplit rechnen. Die Landkarten sind häufig nicht zuverlässig. Albaner sind zum weitaus grössten Teil kundige, aber auch manchmal etwas risikofreudige Autofahrer.
Motorrad: Wer Pisten fahren möchte, sollte unbedingt ein dafür geeignetes grob bereiftes Motorrad besitzen sowie Reifenheber, eine Luftpumpe, Flickzeug und ein Ersatz-Reifenventil mitnehmen. Ein kleiner Tankrucksack ist nicht schlecht. Sehr gut bewährt haben sich Modelle mit Seitentaschen (Touratech). Für das hintere Gepäck würden wir eine grosse, wasserfeste Gepäckrolle nehmen und Satteltaschen.
Übernachtungen: In allen grösseren Städten und an den Badeorten am Ohridsee und der Küste gibt es sehr gute Hotels. Gute Campingplätze sind dünn gesät.
Reiseführer: Gefallen hat der Albanien-Reiseführer vom Hobo-Team; ISBN: 978-3-00-043017-6
Fotogalerie:
GPS-FILE ZUM DOWNLOAD- HIER:
❌Epilog
#Albanien IST NICHT NUR EIN GENIALES ZIEL FÜR REISEENDURISTEN - sondern in seinem unverkrampften Miteinander ein Hoffnungsschimmer für die Welt. Nachdem Hitler 1933 die Macht in Deutschland übernommen hatte, flüchteten damals viele Juden in das kleine, bergige Albanien. Dort trafen die Flüchtlinge auf die bedingungslose Solidarität der albanischen Bevölkerung, unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit.
𝐃𝐢𝐞 𝐀𝐥𝐛𝐚𝐧𝐞𝐫 𝐡𝐚𝐛𝐞𝐧 𝐰ä𝐡𝐫𝐞𝐧𝐝 𝐝𝐞𝐬 𝐙𝐰𝐞𝐢𝐭𝐞𝐧 𝐖𝐞𝐥𝐭𝐤𝐫𝐢𝐞𝐠𝐬 𝐝𝐢𝐞 𝐄𝐡𝐫𝐞 𝐝𝐞𝐫 𝐖𝐞𝐥𝐭 𝐠𝐞𝐫𝐞𝐭𝐭𝐞𝐭 und sind in Sachen #Toleranz - das kann ich nach vier Albanienreisen bezeugen - noch immer ein Beispiel dem man nacheifern könnte.
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