Und wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her…
Dieser abgedrosche Uralt-Spruch meiner Großmutter zeigt immer wieder seine universelle Gültigkeit. Nachdem ich vorgestern wirklich die Nase voll hatte von einem 'shitty Day im Paradies Sardinien' (https://www.wilhelm-toeff.ch/post/another-shitty-day-in-paradise) habe ich in der Folge alle Pläne losgelassen und mir nur noch eine grobe Richtung auf der Landkarte vorgegeben. Von Cala Gonone sollte es zunächst grob nach Osten ins Landesinnere von Sardinien gehen. Ich hatte mir weder eine Route auf dem GPS vorbereitet, noch eine Bleibe gebucht.
Morgens nicht zu wissen, wo man Abends ist… Eine spannende, alternative Strategie, die uns auf den Terminkalender dressierten und fixierten Robot-Workaholics eher völlig abgeht.
Doch wer mit dem Strom schwimmt…
… kommt nie zur Quelle - also los. Zunächst wie am Vortag auf die SS125. Doch so schön die Strecke auch ist: Was jeder weiss und jeder kennt, ist auch ein ausgetretener Pfad. Dann bleibt bei einem Fotostopp mein Blick plötzlich auf einer unscheinbaren, klitzekleinen Strasse der dritten Kategorie entlang des Lago Alto di Flume Sola hängen...
Das GPS vermeldet 89 Km ohne Dorf und Treibstoffversorgung. Das ist doch so recht nach meinem Geschmack. Schlechte Straßen? Wozu hat die HP mit massig Federweg? Okay, es sind die 17 Zöller mit Strassepneus montiert. Aber endlich mal weg von den ausgetretenen, ausgebauten Bahnen der Maximalschräglagen, die hier alle Motorradfahrer zu suchen scheinen - das klingt für mich verlockend.
Zurück zur Natur... mit 105 PS
Und tatsächlich, bereits der schmale, nur PKW-breite Einstieg hinter Villanova Strisali macht sofort klar, dass das was jetzt bis Seul folgt, eher was für Endurowanderer und Abenteuer-Genusstourer ist: Tiefe Schlaglöcher, Split, ausgesetzte und abgerutschte Stellen warten zuhauf. Alles ist auch mit der Straßenmaschine machbar, aber Express-Tempo ist hier - ganz anders als auf den überwiegend gut ausgebauten Strecken Sardiniens - völlig fehl am Platz. Die Belohnung? Eine Landschaft und ein nahezu majestätisches Naturerlebnis, das mich mit all der Unbill des Vortrages mehr als versöhnt.
Go with the Flow
Als der Abend anbricht, tritt das ein, was der Nachteil alles Ungeplanten ist: Ich finde ich kein Hotel und keinen Camping. Corona lässt grüssen. Vieles ist einfach geschlossen und wird vielleicht nie wieder öffnen.
Im Hier und Jetzt
Es ist schon 19 Uhr. Ich sehe mich schon sagen 'Ach hätte ich doch gebucht'. Weg mit diesen Gedanken - ich bleibe positiv und geduldig, nehme die Situation an und folge meinem Gefühl statt der quengelnden, besserwisserischen Stimme im Kopf und werde belohnt: Am Ende dieses außergewöhnlichen Tages, einiger Sucherei und Irrwegen, wartet ein traumhafter Agritourismo auf mich. Das Abendessen wird zum Fest der Sinne.
Sein statt abhaken…
Was für ein Tag, was für ein Abschluss. Ich habe das Reisen ohne Plan und Ziel entdeckt. Und ehrlich gesagt, ich habe gar keine Lust mehr mir von einem verinnerlichen Temin-Sklaventreiber oder Reiseprogramm auch noch in den Ferien die Zielvorgaben zum abhaken einflüstern zu lassen. Go with the Flow entspricht doch viel mehr der wahren Natur des Lebens. Auch da weiss ja keiner wohin die Reise geht und wie lange sie dauert. Wie spannend, nicht mehr alles kontrollieren zu müssen. Überwindung kostet es schon nur im Hier und Jetzt zu sein. Aber das Erlebnis ist unvergleichlich: Es öffnet die Sinne und die Seele wird frei…
Zum Nachdenken: Schiller
Dreifach ist der Schritt der Zeit:
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.
Keine Ungeduld beflügelt
Ihren Schritt, wenn sie verweilt.
Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt
Ihren Lauf, wenn sie enteilt.
Keine Reu, kein Zaubersegen
Kann die Stehende bewegen.[
Möchtest du beglückt und weise
Endigen des Lebens Reise,
Nimm die Zögernde zum Rat,
Nicht zum Werkzeug deiner Tat.
Wähle nicht die Fliehende zum Freund,
Nicht die Bleibende zum Feind.
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