Schall und Rauch ... oder wer erinnert sich noch an die sächsische Motorradschmide MZ? Oder gar an das Enduro-Erfolgsmodell der einstigen DDR-Marke nach dem Mauerfall?
Die MZ Baghira 660 war bei ihrem Erscheinen ein mehr als nur konkurenzfähiges Motorradmodell "Made in Germany" - hatte prima Federelemente, ausgezeichnete Fahwerksqualitäten auf der Landstrasse und dazu überdurchschnittliche Offroad-Talente zu einem interessanten Preis. Das machte die Sachsen-Enduro auch für mich zur ersten Wahl.
Wie man bei MZ auf den Namen "Baghira" gekommen ist? Auf den Panther im Dschungelbuch - eines modernen Märchens? Egal, ich drehe mit der Baghi meinen eigenen Fantasyfilm ...
Nichts mehr suchen und alles finden
Es begab sich im Jahre des Herrn 1997 im Königreich zu Württemberg. Ein viel herumgekommener Motorrad-Reiter*, genannt Ritter der Stollen, zog aus, um sich auf die Suche zu machen nach einem erwürdigen Ersatz für sein altes japanisches Ross aus Stahl - eine Yamaha XT 600.
*Spannede Geschichte meiner West-Ost-Durchquerung Afrikas mit ergreifenden Videolinks
Die betagte XT, welche ihm sehr ans Herz gewachsen war, wollte in Rente gehen. Die alte Dame hörte auf den Namen Kiesela (weil sie so gerne im Kies fährt) und wollte mit 147 000 Kilometer auf der Uhr, endlich in den wohlverdienten Ruhestand.
Sollte das alles vorbei sein? Muss der stolze Ritter nun gar auf einer dicken bayerischen Kuh durch die Lande ziehen?
Ross oder Kuh? Anfangs hegte der Ritter grosse Hoffnung, ein 97er-Nachkomme der legendären Yamaha XT-Zucht von anno 1983–89 könne als adäquater Ersatz dienen. Doch die Enttäuschung war gross, als der Ritter den japanischen Stall erreicht hatte: Diese zu Strassenhybriden verschlimmbesserten Rösser konnten niemals die Kinder seines stolzen Wüstenschiffs sein. Mit abgehackten Federwegen, billigen Stahlschwingen, Vollverkleidungen und viel zu fettleibig, standen die Wohlstandsrösser da und langweilten sich. Einzig ihr Herz, der Motor, erzählte noch vom Mythos glorreicher Paris–Dakar-Zeiten.
Das erinnert den Ritter an seine eigenen Raubzüge. Die führten ihn einmal sogar 20 000 Kilometer quer durch Afrika. Freudige 147 000 Kilometer. Niemals hatte ihn Kiesela im Stich gelassen. Mit nachgerüstetem WP-Hinterbein selbst voll bepackt alles geschluckt, nur um das Kreuz des Ritters zu schonen. Sollte das alles vorbei sein? Muss der stolze Ritter nun gar auf einer dickeutrigen bayerischen Kuh durch die Lande ziehen? Niemals, lieber wollte der Ritter der Stollen bis ans Ende der Zeit seinem alten Gaul die Treue halten.
Der Ritter der Stollen berichtete schweren Herzens von seinem Leid: Von degenerierten Strassen-XTs, Habsburgern und müden bayerischen Kühen.
Räuber und Gendarmerie
Es ward jedoch dem Ritter kund getan, dass es eine Motorradschmiede gäbe, welche starke Geländerösser für Turnier und Kampf züchte. Mit letzter Hoffnung machte sich der Ritter auf ins ferne Österreich. Dort jedoch wurde er Opfer von uniformierten Raubrittern und Wegelagerern, welche ihm einen Sack voller Silber nur für die Benützung der Strassen abnehmen wollten. Als der schwäbische Reiter dann noch erfuhr, dass es viele Knappen des Geldadels waren, welche mit den KTMs protzten, kehrte er sinkenden Mutes um. Sein Stahlpferd sollte für den ausdauernden Ritt über Stock und Stein zu fernen Gefilden und nicht nur für Kampf und Turnier geboren sein.
So begab es sich, dass unser Held, verfolgt von den österreichischen Raubrittern, in der Verzweiflung die Orientierung verlor und sich nach Sachsen verirrte. An der Grenze zum Königreich angekommen, wurde er von des Königs Bütteln aufgehalten. Die fragten nach seinem Begehr und dem Grund für seine Reise. Der Ritter der Stollen berichtete schweren Herzens von seinem Leid: Von degenerierten Strassen-XTs, müden bayerischen Kühen, Reiskochern und gedopten Turnier-KTMs. Der Fall des verirrten württembergischen Stollenritters kam dem sächsischen König zu Ohren. Dieser veranlasste den Stallmeister der MZ-Schmiede zu Zschopau, unverzüglich zur Tat zu schreiten und dem Mann zu helfen. Der schaute sich das betagte Wüstenschiff des schwäbischen Edelmannes an und verschwand darauf in seiner Ideenschmiede.
Nachdem über lange Zeit nur Hämmern und Klopfen zu hören war, öffneten sich eines Tages im Morgengrauen die Pforten der sächsischen Motorradschmiede. Ein dumpfes Ballern erfüllte den Äther und liess der Konkurrenz den Atem verschlagen. Die MZ Baghira hatte das Licht der Welt erblickt.
Die MZ 660 Baghira ist weder ein hochgezüchtetes nervöses Rennpferd à la KTM noch ein langweiliger Enduro-Strassen-Hybrid ...
Kreuzritters Reisen
Das war anno 1997. Kiesela, die alte XT 600, ist schon lange in den wohlverdienten Ruhestand getreten und der Ritter ist damals seit drei Jahren stolzer Besitzer des sächsischen Panthers. 35 000 Kilometer haben Ross und Reiter mittlerweile fest zusammengeschmiedet: Egal, ob auf dem täglichen Weg zur Arbeit, in wilder Kurvenhatz die Alpenpässe rauf und runter oder über Holperstrecken durch Korsika. Mit dem 33-Liter-Nachrüsttank, Handprotektoren, Gabelschützern und Motorschutzblech, selbst gebasteltem Sturzbügel und Gepäckträger sowie dem Tripmaster samt GPS-Navigationssystem ging’s ab in die Wüste:
Auf Sandpisten durch Tunesien, über Dünen durch Algerien, dann auf alten Karavanenpfaden durch die Ténéré-Wüste im fernen Niger.
Der Höhepunkt waren aber wohl die 11 000 Kilometer Marterstrecke quer durch die Sahara, bis hinab auf die Schlammpisten der tropischen Regenwälder Kameruns. Wie also hat sich das neue Sachsen-Ross geschlagen?
Summa summarum, ihr Ritter der Schwafelrunde ...
Regen, Schnee, Sandsturm, Piste, Strasse? Die Baghira taugt für alles. Ein kleiner Knopfdruck, und das Herz des sächsischen Stahlrosses beginnt zuverlässig zu pochen: Egal, ob auf dem Klausenpass oder auf der Gräberpiste in Algerien. Dank des narrensicheren Yamaha- XTZ-660-Motors ist die Baghira ein echter Langstreckenläufer. Zugegeben sorgt das implantierte japanische Herz in Punkto Leistungsentfaltung nicht gerade für Adrenalinschübe.
Macht nichts, denn die Baghira ist weder ein hochgezüchtetes nervöses Rennpferd à la KTM noch ein langweiliger Strassenzwitter, sondern ein Freiheitskämpfer. Das ist kein Töff für geltungssüchtige Stadtindianer, dieses Ross protzt nicht. Es hat innere Qualitäten, die es zu «er-fahren» gilt.
Da hat MZ wohl ein exzellentes Fernreisemotorrad gebaut, ohne es zu wissen ...
Ruhig, vibrationsarm und unauffällig stampft das Triebwerk klaglos selbst durch die tiefsten Weichsandfelder oder über die höchsten Alpenpässe. Kein Wunder, das Leistungspotenzial des Motors ist mit 50 Pferden noch lange nicht ausgeschöpft. Wer mehr Leistung braucht, dem hext der berühmte MZ-Turnierpferd- Zauberer Fritz Egli in mehreren Tuningvarianten bis zu 85 PS ins Triebwerk. Das Fahrwerk ist sowieso über jede Kritik erhaben – braucht sich auch nach über 20000 harten Pistenkilometern nicht hinter den österreichischen Hochadel- Enduros zu verstecken. Auf der Piste machen 280 Millimeter Federweg die Baghi auch voll beladen Kreuzritter-tauglich. Im Strasseneinsatz ist es selbst bei Höchstgeschwindigkeit noch immer nicht zum Pendeln zu bewegen.
Dieser Mix aus exzellenten Fahrwerkseigenschaften und dem standfesten Motor machen die Baghira zur ersten Wahl für jeden Globetrotter. Wie formulierte es Thomas Trossmann, seines Zeichens Afrika-Motorrad-Experte, Buchautor und Chef des Fernreiseunternehmens «Wüstenfahrer» so treffend: «Da hat MZ wohl ein exzellentes Fernreisemotorrad gebaut, ohne es zu wissen.»
Dank des narrensicheren Yamaha- XTZ-660-Motors ist die Baghira ein echter Langstreckenläufer
Doch auch bei den Sachsen ist nicht alles Gold was glänzt: Die Alu-Felgenteller sind für den heftigen Geländeeinsatz viel zu weich – die Zugspeichen unterdimensioniert. Dellen und gleich dutzendweise abgebrochene Speichen am Hinterrad sind die Folge. Selbst verschärftem Fahrstil im Strassenbetrieb sind die Originalspeichen nicht gewachsen. Auf einer 4000-Kilometer-Tour durch die Seealpen brechen gleich drei Speichen ab. Ermüdungsbruch. Auch der Austausch gegen verbesserte Originalspeichen bringt keinen Erfolg. Im Werk weiss man um die Problematik. Offiziell hält man sich aber lieber bedeckt, speist verärgerte Kunden und Händler damit ab, dass die Baghira kein Wettbewerbsfahrzeug sei.
Eine pfiffige Lösung bot damals der MZ-Händler Bossi’s Bikestore in Frauenfeld: Extra angepasste Dickendspeichen und edle Excel-Felgen machen dem Ärger ein Ende. Danach gab’s nicht mehr viel zu tun: Mit 12 371 Kilometern wollte der kaum beachtete Killschalter mal was sagen und unterbricht kurzerhand und unaufgefordert den Zündstrom. Dasselbe tat eine defekte Batterie nach 21 464 Kilometern und einer weiteren Wüstenreise. Da begannen auch die noch nicht gewechselten Originalspeichen am Vorderrad zu rosten. Die Korrosionsbeständigkeit der Originalstäbe war also auch nicht das Gelbe vom Ei.
War da noch was? Ach ja, drei verschlissene Kettensätze, vier Hinterreifen, drei Vorderreifen, ein Satz Bremsbeläge, Kundendienste, Ölwechsel samt Filter, eine neue Zündkerze, ein verdreckter Vergaserfilter und die viel zu harte Sitzbank, die mich noch immer nervt.
Und warum ist ein so gutes Motorrad kein Topseller geworden? Vielleicht, weil viele Leute immer noch nicht realisierten, dass MZ keine stinkenden Zweitaktfossile mehr baute, sondern richtig geile Geräte. Und das zum fairen Preis.
Post Scriptum: Kiesela, die alte XT, teilt sich glücklich den Stall mit Baghira und lebt bis ans Ende der Zeit. Und wenn sie noch Benzin bekommen, dann ballern sie noch heute
FACTS - DIE SACHSENENDURO MZ Baghira 660
Damalige Umbauten
➔ Sicherheit: Da selbst die besten Fahrer Stürze nicht ausschliessen können, ist ein stabiler Sturzbügel für den Töff empfehlenswert. Sturzbügel, grosse Tanks und anderes gutes Baghira- Zubehör fand sich bei der Firma Off- The-Road, D-Trier.
➔ Rallye: Modifikationen für Wettbewerbseinsätze und Reisen gabt’s bei der Firma Competitive Solutions, D-Dorfen.
➔ Fahrwerk: Bei der MZ sollte die Gabel durch nachträgliche Montage von Zubehör-Faltenbälgen vor der Einwirkung von Schmutz geschützt werden. Ein weiterer Schwachpunkt waren die weichen Felgen. Am Hinterrad waren Speichenbrüche keine Seltenheit. Hier schaffte damals nur ein Umrüsten auf Excel-Felgen dauerhaft Abhilfe. Felgenumbauten damals: Bossi’s Bikestore, Frauenfeld.
➔ Tanks und Gepäck: Einen grossen Tank für Saharareisende (Off-The-Road), ein stabiles Trägersystem und Aluboxen fürs Gepäck gab es für die Baghira bei der Firma Touratech AG, D-Niedereschach.
➔ Motortuning: Die Firma Egli-Motorradtechnik AG hatte für die Mastiff- Baghira-Skorpion-Modellreihe zehn perfekte Tuningkonzepte entwickelt, für Leistungen von 55 bis 84 PS. Die Konzepte waren hundertprozentig durchgetestet und solide. Sie wurden in Bezug auf Material- und Arbeitsaufwand klar definiert. Für jeden Anwendungszweck stand das passende Konzept bereit.
Technische Daten
➔ MZ Baghira
Motor: Flüssigkeitsgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, SOHC (Kette), 5 Ventile, Trockensumpfschmierung. Bohrung × Hub 100 × 84 mm, 660 ccm. Verdichtung 9,2. Elektronische Kondensatorzündung, Teikei-Registervergaser ∅ 26/35 mm. Mehrscheiben- Ölbadkupplung, 5 Gänge, O-Ring-Kette. Keine Abgasreinigung. 50 PS bei 7600/min, 57 Nm bei 6300/min.
➔ Aufgrund ihres zuverlässigen Yamaha XTZ 660 Singles und des exzellenten Fahrwerks ist die Baghira nicht nur bei Fernreisenden sehr beliebt.
Fahrwerk: Stahlrohrrahmen, vorne hydraulische Telegabel, ∅ 45 mm, Zug- und Druckstufe einstellbar. Hinten Alu-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein mit Umlenkhebelei, Federbasis, Zug- und Druckstufe einstellbar. Federwege v./h. 280 mm. Vorne Einscheibenbremse, ∅ 282 mm, Doppelkolbensattel, hinten Scheibenbremse, ∅ 245 mm, Einkolbensattel. Speichenräder mit Alufelgen, 1,85" und 2,75", Bereifung 90/90-21 und 140/80-18.
➔ Den Rahmen baut MZ selbst, die hochwertigen Fahrwerkskomponenten stammen von Marzocchi und WP.
Abmessungen: Radstand 1530 mm, Lenkkopfwinkel 62°, Nachlauf 130 mm, Sitzhöhe 920 mm, Gewicht voll getankt 174 kg, Tankinhalt 13,5 Liter.
➔ Für kleinere Biker war die Baghira-Enduro auch tiefer gelegt auf 890 mm Sitzhöhe lieferbar.
Preis (1998): Fr. 10 400.–, lieferbar in Gelb/Orange und Schwarz/Orange.
➔ Die Baghira war auch als Supermoto (Mastiff, Black Panther oder Street Moto) mit 17-Zoll-Bereifung zu ordern.
Import und Tuning für die Schweiz war damals in Händen der Fritz W. Egli Motorradtechnik AG, 5618 Bettwil.
Der sächsische Motorradhersteller erreichte einmal die höchsten Produktionszahlen weltweit: 1983 verlässt das zweimillionste MZ-Motorrad das Band!
MZ - STREBEN & STERBEN
Über 80 Jahre war MZ im Rennsport und auf den Strassen zuhause. Als der Däne Jörgen Skafte Rasmussen im Jahre 1907 eine Maschinenfabrik im Tal der Dischau gründete, ahnte niemand, mit welchem Erfolg hier einmal Töff entwickelt werden würden...
Foto-Link zum Streben und Sterben des einst grössten deutschen Motorradherstellers:
Deutschland hatte lange Zeit einen grossen Motorradhersteller neben BMW
➔ MZ wollte ganz vorne mitmischen
Die eigentliche Sternstunde des Werkes war 1922. Mit der Produktion des ersten DKW-Zweitaktmotorrades begann der traditionsreiche Weg des deutschen Motorradherstellers, der sich schon ab 1923 Zschopauer Motorenwerke nannte – eine Geschichte mit Höhen und Tiefen. Beispielsweise erreichte der sächsische Motorradhersteller die höchsten Produktionszahlen weltweit: 1983 verlässt das 2 000 000. MZ-Motorrad das Band! Erfolge im Rennsport gehören ebenso dazu wie die Demontage nach Ende des Krieges oder die Liquidation durch die Treuhand Anfang der 90er. Als zweiter deutscher Hersteller wollte das Zschopauer Traditionsunternehmen in den 1990ern wieder ganz vorne mitmischen und mit der MZ 1000 S der Konkurrenz wieder das Fürchten lehren. Das ging mächtig in die Hose.
Link... wie ein roter Faden zieht sich das Thema "Insolvenz" durch 20 MOTORRAD-Jahresbände, mal weniger scharf formuliert:
„MZ in wirtschaftlichen Schwierigkeiten“, mal schärfer: „MZ vor dem Aus“. Stets wird analysiert, nach Gründen und Verantwortlichen für die wirtschaftliche Misere des einst grössten deutschen Motorradherstellers gesucht. Stets wird betont, wie sehr sich die Belegschaft - zur Spitzenzeit vor der Wende waren das mal 3800 Menschen, danach 300, dann 30 - mit ihrem Job, dem Werk, der Marke MZ identifiziere. Welche Opfer die sächsischen MZ-Werker zu bringen bereit waren, um die seit über zwei Jahrzehnten taumelnde Firma am Leben zu erhalten: https://www.motorradonline.de/ratgeber/die-unendliche-mz-geschichte-totgesagte-leben-laenger/
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